Alan Kirkness schickte folgende Resultate einer ersten Durchsicht der Probescans zu dem Handexemplar des Grimmschen Wörterbuchs in Krakau, das als das „Wilhelm Grimms“ gilt (Libri impr. c. n. mss. 2° 33 f.). Überraschendes Hauptresultat der ersten Analysen ist, daß Wilhelm Grimms Handschrift auf diesen 120 Seiten gar nicht erscheint, daß die bisherige Zuordnung also gründlich überdacht werden muß.
Außerdem bestätigt sich, daß der gedruckte Text hier im Exemplar „Wilhelm Grimms“ meist nicht der endgültige ist. Es handelt sich überwiegend um Druckfahnen.
Und nun hat Alan Kirkness das Wort:
Wilhelm Grimms Handexemplar der ersten Lieferung des „Deutschen Wörterbuchs“ (Sp. 1—240, Stichwörter A bis ALLVEREIN) besteht hauptsächlich aus Druckfahnen und weist Notizen von vier verschiedenen Autoren auf:
1. Jacob Grimm — nur vereinzelt;
2. Karl Reimer, Spiritus rector und bis Ende 1852 Mitverleger des Wörterbuchs — ebenfalls nur vereinzelt;
3. Salomon Hirzel, bis Ende 1852 Mitverleger und ab 1853 alleiniger Verleger des Wörterbuchs — Notizen auf etwa 10 Seiten;
4. Rudolf Hildebrand, Korrektor des Wörterbuchs und später Nachfolger der Brüder Grimm als Bearbeiter — viele Notizen auf ca. 100 Seiten.
Die Zuordnung der Notizen ist nicht immer eindeutig, außer jedem Zweifel steht jedoch, daß keine einzige von Wilhelm Grimm stammt. Korrekturen von Satz- und Druckfehlern sind rar. Bei den meisten Annotationen handelt es sich um zusätzliche Textbelege und -beispiele zu vorhandenen Stichwörtern; weniger häufig finden sich Angaben zur regionalen oder zeitlichen Verbreitung bestimmter Wortformen und -verwendungen; und vereinzelt werden neue Stichwörter nachgetragen. Jacob Grimm reagiert unterschiedlich auf die Korrekturen und Nachträge: in vielen Fällen nimmt er sie, meist in abgewandelter Formulierung, in die endgültige Druckfassung auf; in anderen Fällen dagegen berücksichtigt er sie nicht.
Zur Illustration werden hier Sp. 221—222 abgebildet, wo nacheinander Hildebrand, Reimer und Hirzel Nachträge zum Stichwort ALLERDINGS liefern.
Am breiten Rand rechts weist Hildebrand in deutscher Schrift auf unterschiedliche, von Jacob Grimm nicht erwähnte Verwendungen von ALLERDINGS hin und fügt in lateinischer Schrift zwei kurze, selbst verfaßte Textbeispiele für eine konzessive Verwendung des Stichworts hinzu.
Dann trägt Reimer zwei Belege aus Lessing und Dahlmann mit genauen Belegstellenangaben nach.
Am rechten Rand unten gibt Hirzel zwei Textbelege aus Schleiermacher und Goethe an, und am unteren Rand trägt er noch drei weitere Belege nach, einen in der Mitte aus Schlegel und zwei unterhalb von Sp. 221 aus Jacob Grimms Schrift „Über seine Entlassung“.
(alle Bilder bisher: ehemalige Preußische Staatsbibliothek, z. Z. in der Biblioteka Jagiellonska Kraków, Libri impr. c. n. mss. 2° 33, Sp. 221 f.)
Bei seiner Revision nimmt Jacob Grimm in die Druckfassung die Angabe „Oft concessiv“ auf und belegt diese Verwendung mit drei, allerdings stark gekürzten Hirzel-Belegen aus Schleiermacher, Goethe und Schlegel.
(Quelle: Online-DWB, http://www.dwb.uni-trier.de)
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Berthold Friemel, 13. Februar 2006